Atypik

Erneut hat ein Obergericht keinen Zweifel daran gelassen, dass immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftige Entsorgungsanlagen grundsätzlich nur in Industriegebieten zulässig sind (OVG NRW, Beschluss vom 07.01.2021, 8 B 546/20 u. a.).

In dem konkreten Fall ging es um die Errichtung und den Betrieb einer Anlage zur zeitweiligen Lagerung und sonstigen Behandlung von nicht gefährlichen Abfällen in einem Gewerbegebiet. Im Rahmen der Abfallbehandlung wurde auch eine mobile Brech- und Siebanlage vorgesehen, die allerdings in einer Halle betrieben wird, wobei die Brecheranlage einer Kapazität von 25.000 t/a und die Siebanlage von 65.000 t/a hat.

Das OVG NRW hat die von Nachbarn betriebene Anfechtung der Genehmigung nach dem Bundes-Immissionsschutzrecht für begründet gehalten, weil solche Anlagen in einem Gewerbegebiet grundsätzlich unzulässig seien. Dies ergebe sich unmittelbar daraus, dass immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürfte Anlagen nach der Einschätzung des Gesetzgebers in besonderem Maße geeignet seien, schädliche Umwelteinwirkungen hervorzurufen (§ 4 Abs. 1 BImSchG).

Eine ausnahmsweise anzunehmende Zulässigkeit von solchen Anlagen in Gewerbegebieten sei hingegen nur in atypischen Fallgestaltungen gegeben. Eine solche liege vor, wenn der jeweilige Betrieb nach seiner Art und Betriebsweise von dem Erscheinungsbild eines typischen Betriebs abweicht, sodass er die sonst üblichen Störungen von vornherein nicht befürchten lässt und damit seine Gebietsverträglichkeit dauerhaft und zuverlässig sichergestellt ist. Demnach könne etwa bei der Gesamtbeurteilung des Störpotentials als typisch oder atypisch von Bedeutung sein, ob die Betriebseinheiten, die in besonderem Maße zur Entstehung von erheblichen Belästigungen beitragen, eingehaust sind. Lediglich sogenannte verhaltensbezogene Auflagen, also Auflagen, die den Beschäftigten oder Dritten ein bestimmtes Verhalten auferlegen, um das Emissionsgeschehen zu minimieren, seien nicht geeignet, eine Atypik zu begründen, da das Risiko bestehe, dass Beschäftigte oder Dritte aus Unachtsamkeit oder Unwissen solche Auflagen nicht einhalten. Auch ein zu erwartender LKW-Verkehr, der stets im Freien stattfindet, und die Konfiguration einer Anlage bzw. die damit verbundene Lärm- und Staubentstehung seien Anhaltspunkte, die gegen eine Atypik sprechen. Letztendlich sei die Gesamtschau entscheidet.

Nach alledem ist es jedenfalls ratsam, bei Neuvorhaben darauf zu achten, dass diese in einem Industriegebiet angesiedelt werden. Die immer restriktiver werdende Rechtsprechung zur Zulässigkeit solcher Anlagen außerhalb von Industriegebieten lässt es risikoreich erscheinen, auf die Argumentation zu setzen, die Anlage sei atypisch. In Änderungsgenehmigungsverfahren für bestehende Anlagen außerhalb von Industriegebieten, bei denen sich die Frage nach der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit der Änderung stellt, ist der Verweis auf die Atypik jedoch alternativlos. Insgesamt bleibt aber gleichwohl abzuwarten, ob die durchaus fragwürdige Rechtsprechung des OVG NRW durch andere Obergerichte oder gar durch das Bundesverwaltungsgericht bestätigt wird.

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Köln, 05.05.2021

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